Veröffentlicht am 27. Juli 2008 • 0 Kommentare
Ihr Drive war wie ein Peitschenschlag. Schon auf der ersten Bahn zeigte sie uns alten Knaben, was Sache ist. Der agile Senior, der uns auf diesem 9-Loch Turnier begleitete, pfiff durch die Zähne. Als ich zu meinem Ball kam, sah ich, dass Miss O. mich um etwa 40 Meter ausgedrived hatte. Auch ihr Annäherungsschlag zum Grün deutete an, dass uns eine besondere Runde bevorstand. Auf der 2. Bahn, einem Par 3, nagelte sie ihren Ball mit dem Eisen 5 auf die rechte Grünseite und schob die Kugel auf dem sehr schnellen Grün des Golfparks Winnerod (und das ist heute mal keine Satire) mit sensiblem Touch bergab ans Loch. Sie spielte ein Par, während wir beiden Graurücken unsere ersten Bogeys notierten. Aufmerksam beobachtete ich Miss O, als sie das 3. Fairway mit einem uralten, geliehenen 10 Grad Callaway-Driver spaltete. Ihre klobigen, alten Wilson-Schläger waren offensichtlich zu kurz, aber „da sie sich mit Golf nicht auskennt“, wie sie meinte, war ihr das egal. „Hauptsache es funktioniert“, sagte sie, und “Ich will Spaß haben, ich will einfach nur Golf spielen und über nix nachdenken. Ich lass´ es laufen.“Ich lass´ es laufen. Das war ihr Slogan, den sie auf der ganzen Runde wahr werden ließ.
Wenige Tage zuvor hatte ich ein Matchplay über 9 Loch gegen jenen Lokalmatador gewonnen, der ungenannt bleiben wird, denn an diesem Nachmittag war ich gedopt. Einmal von Michas herrlicher Massage (Praxis Neumann, Wettenberg) und dann von dieser Infusion, die ich wegen überhitzter Nerven und vegetativer Störungen bekomme.Nachdem ich auf der 4. und 5. Bahn jeweils ein Birdie gespielt hatte, stand Doc Uli, der eilends herbeizitiert wurde, am 6. Abschlag, und wurde Zeuge, wie ich kurz darauf zum 3. Birdie in Folge einlochte.
Doc Uli, der mir am Nachmittag vor der Runde besagte Neurotropan-Infusion verpasst hatte, grübelte bereits nach, ob er sich das Zeug nicht mal selbst reinpfeifen sollte, denn es folgten noch zwei Pars unter schwierigen Bedingungen. Auf dem 9. Abschlag, zwei unter für die Runde, war ich von tiefem Seelenfrieden erfüllt.
„Du hast doch jetzt Druck, oder?“, fragte der Matador, der das Match bereits verloren hatte. „Du musst doch jetzt DRUCK haben?! Zwei unter, das musst Du jetzt REINBRINGEN!“
„Ich muss gar nichts“, sagte ich, dachte weder über meinen neuen Griff noch sonst was nach, und schlug einen herrlichen Drive ins Tal. Der Ball lag exakt da, wo ich die Woche zuvor mit dem neuen MDGolf Holz 3 den schönsten 2. Schlag meines Lebens gemacht hatte, über die Bunkerreihe kurz vors Grün. Diesen Schlag visualisierte ich mir, aber da ich schräg über dem Ball stand, hookte ich nach links. Mein Mitspieler schaute bedenklich. „Könnte Aus sein.“
Ich dachte nicht nach und anstatt sicher vorzulegen, spielte ich den 2. Ball ebenfalls mit dem Holz 3, wieder nach links. Aber beide Bälle fanden sich. Ich schlug eine 8 aus dem Rough an den rechten Grünrand, der Chip bergab war sehr aggressiv, weil ich lochen wollte, um die Welt ein für allemal anzuhalten, wie das Don Juan nennt. Aber die Welt wollte nicht anhalten und der Ball auch nicht. Er lief über das Loch und rollte weiter. Viel zu lang. Der Putt zum Par war sehr schön, aber der Ball lag nur neben dem Loch, also eine Sechs. Ich beendete die 9-Loch Runde als Sieger im Matchplay mit eins unter Par. Daran dachte ich, als ich Miss O. beobachtete. An diesem Tag hatte ich es laufen lassen. Ich tat, ohne zu Tun, die Dinge passierten, hätte ich früher geschrieben. Aber heute weiß ich, dass diese Dinge nur passieren, wenn etliche Komponenten zusammenkommen, um sich in einem Moment der Gnade zu vereinen. Richtiges Training, kluges Spiel, Entspannung im Kopf, gelöster Rücken und das Glück, das es braucht, um das, was man erarbeitet hat, dann loslassen zu können.„Ich lass es laufen!“ hatte mir die O. schon vorher geschrieben. Sie hatte mir anlässlich meiner Umfrage gemailt, eine ausführliche Korrespondenz folgte und da der Golftag mit Karsten Kuhnen eine so interessante Erfahrung war, lud ich sie ein, nach Winnerod zu kommen.
Sie spielt erst seit einem Jahr Golf. Sie hat eine preiswerte Mitgliedschaft von einem Club nahe der tschechischen Grenze, wo sie in einer Intensivwoche ihr Handicap 45 erspielte. Seit dem trainiert sie auf den Plätzen um ihre Heimatstadt, sofern ihr das finanziell möglich ist. Sie begleitet ihren Pro hin und wieder als Caddie. Miss O. war Fußballerin, spielte Basketball, aber nach einer Fußverletzung musste sie Mannschaftsportarten aufgeben. Sie verliebte sich in den Golfsport. In ihrem Garten legte sie sich ein Pitching Grün an. Sie ist eine dieser Spielerinnen (wie auch meine Schwester), die in dieser offiziellen S-Klasse Golfwelt mit ihren Zicken und Allüren nicht vorkommen: SpielerInnen, die gerne bei Wind und Wetter draußen sind, die den SPIRIT OF GOLF verkörpern, die eher Nachts Kieselsteinen schlagen würden, als dass sie auf ihren Sport verzichten würden, obwohl sie kaum Spielgelegenheiten haben, weil Golf teuer ist und ihr Job beschissen bezahlt wird, und zwar genau von jenen Chefs, die sich als Clubpräsidenten feiern lassen und abfällige Bemerkungen über Nassauer, Billig-Golfer und Habenichtse machen. Diese wohlstandsverwahrlosten Charaktermasken werden leider niemals begreifen, dass Golf ein Sport des Herzens ist und nicht der gemeinsame Nenner aller Steuerflüchtlinge.
Eigentlich hatten wir geplant, an diesem Nachmittag unseren schönen kniffligen Kurzplatz spielen. Als ich dann aber erfuhr, dass sie noch nie ein Turnier gespielt hatte, schlug ich vor, dass wir dieses 9-Loch Turnier mitspielen, das unser Club Freitags für Anfänger veranstaltet. Sie willigte ein, war kaum aufgeregt und erzählte mir auf der Clubhausterrasse beim Kaffee, dass ihr diese Handicap-Jägerei egal sei. Sie wolle nur Spaß haben. Ich erklärte ihr, dass diese Handicap-Jägerei in Deutschland zwar abartige Formen angenommen hätte, aber die Intention sei die Vergleichbarkeit verschiedener Spieler, die sich in einem Wettkampf nur dann fair messen können, wenn sie ein korrektes Handicap spielen.
Während in den USA jede beglaubigte Runde fürs Handicap zählt und damit die aktuelle Spielstärke erfasst ist, muss man in Deutschland die „vorgabewirksamen Turniere“ des Monopolisten spielen, was viele Leute nicht machen wollen oder können, weshalb die Handicaps hierzulande oft eine Farce sind. Miss O. sah das mit dem fairen Vergleich ein.Also spielten wir dieses 9-Loch Turnier und sie ließ es laufen. Sie errang mit 47 Netto-Punkte den 1. Platz und hat jetzt als neues Handicap 35 (*sofern ihr Club das anerkennt!). Ich ließ es auch laufen und verrannte mich dabei. 33 Punkte. Jetzt spiele ich 12,1, was ich mittlerweile mit einem gewissen Humor betrachte.
Für den Samstag hatten wir eine 18-Loch Runde geplant. In Winnerod herrschte brütende, schwüle Hitze. Sie war gewappnet. Sie hatte zwar erst zwei Golfbücher in ihrem Leben gelesen (meine), aber sie kannte die Situation aus dem Kapitel „Am Rande des Wahnsinns“. Schweißgebadet taumelte ich hinter dieser Frau her, die mir wie eine Inkarnation von Babe Zacharias vorkam, denn so schlug sie den Ball. Ich werde diese unvergessliche Runde ein andermal ausführlich schildern, nur so viel: Es wurde die längste Runde, die ich jemals zu zweit gespielt habe. Sie zählte mich „Strokeplay“, ich zählte sie nach Stableford. Gegeneinander spielten wir Matchplay, sie hatte pro Bahn nur einen Schlag vor.
Ja, das mag unfair klingen, aber – ich bin doch nicht verrückt – ich habe diese Frau am Tag zuvor spielen sehen. Putts wurden keine geschenkt.
Wir starteten mittags und waren über sechs Stunden unterwegs, wobei wir fast zwei Stunden in Hütten festhockten, denn über uns kreiste ein bösartiges, ausdauerndes Gewitter, gefolgt von sintflutartigen Regenfällen. Auf der 13. Bahn spürten wir, wie die Luft knisterte. Wir markierten die Bälle und rannten um unser Leben.

Bis dahin lag ich 3 über Par! Ich wollte diese Runde unbedingt zu Ende bringen, sie auch. So saßen wir über eine Stunde in einer Schutzhütte fest und überlegten, ob wir mit einem getoppten Ball Kaninchen erlegen könnten. Aber das Handy funktionierte nicht und selbst wenn, hätten sich die Kellner vermutlich geweigert, uns bei diesem Wetter Salz und Pfeffer anzufahren. Ich spielte mit meinem neuen Skycaddie rum, der aber keine Auskunft darüber gab, wann der Regen aufhören würde.
Zu früh zogen wir weiter. Der pitschnasse Platz und ein paar bedrohlich nahe Blitze kosteten uns auf den letzten Löchern einige Schläge. Ich brachte eine 9 über Par rein, Miss O. spielte 51 Stableford-Punkte, wie unser Manager Uli Lischka später ausrechnete. Obwohl sie nur einen Schlag pro Bahn vor hatte, gewann sie das Match eins auf. Tja, so hat sie das laufen lassen und für mich war die Sache damit gelaufen. Aber ich zog meinen Hut, den ich jetzt noch in der Hand halte.