Veröffentlicht am 24. Dezember 2007 • 0 Kommentare
Für Terry
Josek wartete am vereinbarten Treffpunkt auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt. Er hockte an der Abluftdüse hinter dem ASIA Imbiss. Hier war es erträglich warm. Er durfte sich auch Essensreste von den Tellern nehmen. Dafür half er der Vietnamesin die Mülleimer auszuleeren.
„Meine Frau wird kommen“, sagte er zu ihr. „Lange Reise.“ Sie nickte.
„Morgen wird sie kommen“, sagte Josek auch am nächsten Abend.
Wieder nickte die Vietnamesin und schaute ihn traurig an.
Marthe sollte bereits vor drei Tagen eintreffen. Josek legte sich auf den Lüftungsschacht am Hintereingang des Supermarktes, wo er einigermaßen warm schlafen konnte. Seit seiner Flucht aus der bürgerkriegsumkämpften Heimat hatte er nur selten von Marthe gehört. Zuletzt hatte er sie aus einem Internetladen angerufen. Marthe weinte. Ob sie noch kommen solle? Er bejahte, wenngleich er nicht wusste, ob sie es schaffen würde. Geld konnte er ihr keins schicken. Die Grenzen waren zu.
„Ich werde auf Dich warten“, sagte er.
„Josek“, sagte sie, „ich muss hier weg, ich bin schwanger.“
Er schluckte. „Wer?“
„Josek“, sagte Marthe, “das macht mir einen Kopf. Es gab keinen Mann bei mir, seit du weg bist.“
„Keinen Mann?“
„Josek, ich schwörs!“
Josek war schon über ein Jahr von zu Hause weg. Er hatte sich geweigert, für irgendeine der Bürgerkriegsparteien zu kämpfen. Er wurde nacheinander von drei kämpfenden Milizen festgenommen, geschlagen und irgendwann wieder freigelassen. Er war einfach nicht bereit zu kämpfen. Er musste Marthe zurück lassen. Freunde halfen ihm bei der Flucht. Nach langen, harten Wegen erreichte er Deutschland.Er betete täglich, dass Marthe nachkommen würde. Er versuchte Arbeit zu finden. Ohne Papiere war das schwer, aber als gelernter Zimmermann konnte er in einer illegalen Leiharbeiter-Kolonne auf dem Hochgerüst am herrschaftlichen Prachtbau einer deutschen Großbank malochen. Er hauste mit 16 Kollegen in einem Container, der höchstens acht Leuten Platz bot. Josek sollte vier Euro die Stunde bekommen. Den Rest bekam der Vermittler. Aber am ersten Zahltag wurde ihm noch mal die Hälfte seines Lohns für die Unterkunft abgezogen. Nach einer Razzia musste er verschwinden. Er lief aus der Stadt und durch die Nacht. Als er müde wurde, versteckte er sich in einem Schuppen. Am nächsten Morgen war, wohin er auch blickte, alles ordentlich gepflegt und so schön grün, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Von Deutschland kannte er bisher nur die laute, dreckige Stadt. Das sei ein Golfplatz, sagte ihm ein Mann, der ihn im Schuppen entdeckte. Dieser Mann, Besnik, war aus dem Kosovo geflohen. Sie konnten sich verständigen. Besnik redete mit dem Club-Manager. Josek durfte im Schuppen schlafen und helfen. Er sammelte Bälle, er flickte Zäune, er grub Löcher. Er war fleißig. Der Manager war zufrieden. Nur durch diese Besniks und Joseks kam er mit seinem Budget gerade mal zurecht. Auch Josek war zufrieden. Er lernte deutsch. Aber er durfte keinen Kontakt mit den Mitgliedern und Gästen haben.
„Nur grüßen“, sagte der Manager. „Nix reden – du Arbeiten!“
Josek verstand. So hatte er seinen Platz gefunden.
Manchmal betrachtete er die Gäste aus seinem Versteck unter dem Schuppendach, von dem aus er über den Platz schauen konnte. Was waren das nur für Leute? Was taten sie? Und weshalb schauten sie oft so unglücklich aus?
„Komm“, sagte er zu Marthe. „Es wird sich alles finden“. Er gab ihr seine Adresse. Dann war die Leitung unterbrochen. Wochen später bekam er eine Nachricht. Sie würde voraussichtlich Mitte Dezember eintreffen. Die Adresse beschrieb den Parkplatz eines Supermarktes in der Stadt.
Der Golfclub hatte seine Arbeiter über Winter weggeschickt. Manche konnten sich arbeitslos melden, aber die meisten mussten sehen, wo sie blieben. Josek konnte bleiben. Er sollte den Dachboden über dem Geräteschuppen ausbauen. Dort durfte er auch schlafen. Im Geräteschuppen war auch die Werkstatt. Josek hatte alles was er brauchte. Er bekam gutes Essen.
Dann kam die Nachricht von Marthe. Er sprach mit Besnik: „Ich muss weg, Kollege. Frau kommt. Ich komme zurück.“
Besnik nickte. Mit dem dicken Zimmermannsbleistift malte er eine Skizze auf einen Zettel. „Hier ist die Stadt, Jo“, sagte er. „Und hier fährt der Bus, hier ist der Golfplatz.“ Ein Lieferant, der Baumaterial brachte, nahm Josek mit in die Stadt.
Der Manager war verreist. Winterurlaub. Die letzte Veranstaltung des Jahres war zwar am Weihnachtsabend, würde aber von einer Event Agentur und der Club-Sekretärin betreut werden. Das traditionelle Weihnachts-Turnier über 9-Loch mit Charity-Gala war die Idee dreier kooperierender Software-Firmen. Die vielen Singles und geschiedenen Mitarbeiter hatten eine elegante Möglichkeit, den Abend in fröhlicher Gesellschaft zu verbringen. Das hob die Produktivität, senkte die Selbstmordrate und optimierte die Vernetzung der drei Firmen untereinander. Am Nachmittag des vierten Tages auf dem Supermarktparkplatz half Josek Gemüse schnibbeln. Ein Mann stand am Tresen und wartete auf seine Nudeln. „Jesus wurde nicht in einem Stall geboren“, zitierte er die BILD-Zeitung. „Sondern in einer Werkstatt“. Josek zuckte mit den Schultern und schnibbelte weiter. Auch die Vietnamesin hinter dem Tresen konnte damit wenig anfangen. Der Mann bekam er seine Nudeln und war still. Josek brachte die Müllsäcke zum Container.Wieder wurde es Abend. Der Imbiss schloss, der Parkplatz leerte sich. Josek wollte sich gerade zu seinem Schlafplatz aufmachen, da sah er den großen Kastenwagen einer Autoverleihfirma. Der Wagen hielt an der dunklen Seite des Parkplatzes. Es blieb eine Weile still, dann öffneten sich die Fahrertüren und zwei Männer stiegen aus. Sie entriegelten die Hintertür. Langsam krochen Menschen aus der Dunkelheit des Wagens hervor und streckten sich. Dann sah er Marthe. Sie stieg langsam aus dem Wagen. Josek umarmte sie. Dann verabschiedete sich Marthe von den anderen, die noch weiter fahren würden. Marthe war dick. Sie konnte nicht schnell gehen. Sie brauchten eine Weile bis zur Bushaltestelle. Josek hatte den Zettel von Besnik in der Hand. Damit würden sie zum Club zurückfinden.
Am Weihnachtstag erwachten Josek und seine Marthe auf dem Dachboden über der Werkstatt. Er schaute aus dem Fenster. Es war überraschend viel Betrieb. Im Hof traf er Besnik.
„Was iss heute los? Viele Leute?“
„Se haben Ewänd.“
„Was iss Ewänd?“
„Schärrety Ewänd! Weiss nicht genau. Rennen durch de kalte Wind und kloppen de Bälle um zu helfen arme Leute.“
„Wie uns?“
„Ah, nix wie uns. Uns geht’s gutt. Haben Arbeit und Bett!“
„Sind gute Mänsche, de Golfer“, sagte Josek bedächtig.
„Ja, sind gute Mänsche, etwas verrickt, aber gute Mänsche“, stimmte Besnik zu.
„Und se haben drei Keenig dabei!“
„Haben Keenig? Yessas!“
„Yo, hab ich so verstanden. Sachte mir Etbin, de Kellner. Drei Branchen-Keenige von de Softwähr!“
„Yessas!“ Josek machte sich auf, um Marthe von den seltsamen Königen zu berichten.Weil es auf dem Dachboden zu kalt war und oben kein Wasser gab, bettete Josek seine Marthe auf dem alten Sofa, das unten in der Werkstatt neben dem Bullerofen stand. Da lag sie und er hielt ihre Hand. Sie schaute ihn liebvoll an.
„Du bist nicht böse?“
„Warum?“
„Wegen dem Kind.“
„Ich bin froh, dass Du bei mir bist. Es wird unser Kind sein“
.Besnik kam mit seiner Frau und sie brachten etwas zu Essen. Beide begrüßten Marthe.
„Wann wird es soweit sein?“
„Bald“, sagte Marthe.
„Was wird der Manager sagen?“
„Wer ist Manager?“
„Is Scheffe“, sagte Josek.
„Wird schimpfen.“
„Scheff iss nich da“, sagte Besnik, “nur de gute Mänsche vom Schärrety Ewänd“.Am Abend setzen die Wehen ein. Zwischen Traktor, Mähbalken, Aerifizierer und Vertikuliergerät gebar Marthe ihren Sohn. Besniks Frau half. Alles ging gut. Josek weinte.
Und es geschah, dass der Besnik es dem Etbin erzählte und Etbin erzählte es dem Sommelier Franco und der erzählte es dem Koch und der schickte ein großes Tablett mit guten Speisen. Der Koch erzählte es dem Barkeeper und der erzählte es der Event Managerin und die erzählte es einem der drei Software-Könige, als der gerade mit der Siegerehrung beginnen wollte. Da sprach dieser:
„Verehrte Gäste, liebe Freunde,
soeben ward uns hier in einer Werkstatt ein Kind geboren, genau so, wie es vor wenigen Tagen in der Bild-Zeitung geschrieben stand!“
Die drei Software-Könige machten sich auf, die Werkstatt zu suchen und Etbin der Kellner sagte ihnen: Es ist oben am Geräteschuppen, darüber leuchtet, hell wie ein Stern, die große Flutlichtlampe. Sie können es nicht verfehlen.
So zogen die drei Software-Könige hin zur Mutter und dem Kind und als Geschenke brachten sie eine Flasche DOM PERIGNON 1998 Edition Karl Lagerfeld, Angel Parfüm von Thierry Mugler und einen Schal von Anita Pavani.
Es wurde ein schöner Weihnachtsabend. Sogar einige Golfer lächelten.
Zwei Tage später, auf Grund von Gerüchten, besuchte die Ausländerbehörde den Golfclub. Sie erwischten Besnik und seine Frau, die keine Aufenthaltserlaubnis hatten. Marthe, Josek und das Kind hielten sich den ganzen Tag auf dem Dachboden versteckt. „Wir müssen fliehen“, sagte Marthe am Abend, als Josek gerade in den Werbebeilagen des Sonntagsmagazins die Windelpreise verglich.
„Fliehen?“ Josek schaute in die Zeitung. „Hier! Wie wäre es mit Ägypten? Zehn Tage, alles inklusive, mit Silvester Gala und Kamelreiten zum Superferien-Sparpreis!“
Marthe nickte und gab dem Jungen an die Brust: „Klingt gut, auf nach Ägypten.“