Der Kongress tanzt ..
Es war eine rauschende Ballnacht. Meine jugendliche Begleiterin, die ich auf Grund einer geschickten Fehlformulierung am schwarzen Brett der Uni Gießen als Mitfahrgelegenheit zum Jahreskongress für Naturheilmedizin anlocken konnte, wo sie ihr Interesse an der Homöopathie zu vertiefen gedachte, attestierte mir nach fünf Minuten Discofox, dass ich eine ausgemachte Parkett-Sau wäre.
Tanzen hatte ich nie gelernt. Der kleine „tipp“ Zwischenschritt, eins-zwei-tipp, den sie mir deshalb beizubringen versuchte, führte schnell zu ähnlich motorischen Verknotungen meiner Hirnhälften wie damals vor zwei Jahren in Fleesensee, als mir Oliver Heuler erstmal Zacharias Einsatz der rechten Hand referierte und ich ungeschickte Versuche in dieser Richtung unternahm.
Wenn ich es so recht bedenke, jetzt, im Zustand komatöser Halbausnüchterung, ist Zacharias Methode des Golfball Schlagens dem Diskofox gar nicht so unähnlich. Von Tim Gallwey´s Inner Game hatte ich bisher nur das Zählen „Eins-Zwei“ im Kopf, was bei den intellektuellen Ressourcen, die mir mein Reptil-Hirn im Zustand der Anspannung auf dem Golfplatz belässt, schon das Limit war. Jetzt sollte ich noch ein „Tipp“ der rechten Hand dranhängen, womit ich mich schlichtweg überfordert fühlte. Der bewusstseinserweiternde Schlüssel zur Lösung des Problems, so lernte ich ein Jahr später, ist das „Stirnlappenknacken nach Neil Slades „Der Glückschalter“.
Das müssen Sie jetzt nicht verstehen, ich tue es auch nicht wirklich, aber das Aktivieren des Mandelkerns im Hirn (des so genannten „Glücksschalters“) führt aus dem kampfbereiten Reptilhirn-Denken, von dem 98 % der Golfer gesteuert werden, zu einem Zustand der „Stirnlappen-Transzendenz“, was Dr. Vagliante auch als Mastery Golf bezeichnet und bei dem ein eins-zwei-tipp überhaupt kein Problem darstellt.
Ein Problem hat man nur, wenn man am drahtigen Körper einer Studentin klebt und eins-zwei-tipp mit den Füßen versucht, während sich alkoholbedingt Blockaden lösen und das Schlagen der rechten Hand mit zwei Jahre Verspätung einsetzt.
Mein Tanzstil, von 20 Jahren Golfsport geprägt, ist ein horizontales Schwingen um eine Mittelachse herum, die durch das zusätzliche Gewicht meiner Partnerin stabilisiert wird, was an diesem Abend aber nur theoretisch möglich war, weil sie in die entgegengesetzte Richtung strebte. Mein Deo-Stick hatte längst versagt und sie wollte nur weg von den klebrigen Regionen meines transpirierten Seins.
Ich schwang sie herum, verlor die Balance, trat zurück und traf auf etwas Hartes. Ich hörte ein böses Knacken, als ich den Hersteller eines bekannten Heilmittels derart an den Knöchel trat, dass er wimmernd zu Boden ging und seine silberblonde Tanzpartnerin, eine Kölner Akupunktur-Spezialistin, mitriss.
Ich fühle mit ihm, konnte mich aber nicht mehr bändigen, da die überaus flache Geschmacksimpression des Bordeaux, den das Haus Steigenberger auszuschenken wagte, nur durch das zügige Trinken einer Flasche Merlot wegzuspülen war, was aber durch das fulminante Showprogramm des Abends unbemerkt blieb. Erst als die Künstler von der Bühne kamen und eine naturkundliche Massenorgie auf der Tanzfläche begann, spürte ich, wie stark mein Schiff am schwanken war. Aber da war es bereits zu spät.
Der Heilmittelhersteller, keinesfalls ein Leichtgewicht, aber von den vielen neuen bürokratischen Vorgaben der Arzneimittelzulassungskommissionen stark gebeutelt, rappelte sich auf, versuchte zurückzutreten und wurde dabei von der wogenden Masse einer ekstatisch zuckenden Brunhilde überrannt, die ihn mit dem Überlebensgewicht von fünfzig erfolglosen Diätversuchen schlichtweg zermalmte.
Die Trommeln dröhnten, es tobte der Bär. Geistheiler schwebten tanzend über den Tischen, naturheilkundlich ambitionierte Landärztinnen aus den neuen Bundesländern stießen die Kampfschreie befreiter Sachsenstämme aus und selbst jene mageren, graubleichen Heilpraktiker, die Galaabende sonst mürrisch in einer Ecke verbringen, an einem natriumarmen Wässerchen nippen und auf einem Salatblatt kauen, waren nach der wilden Bühnenshow nacktbrüstiger Lido-Girls von ihren Sitzen hochgesprungen und erlebten zum ersten Mal, wie es sich anfühlt, wenn das Chi durch alle Meridiane prasselt, die sich zu diesem lustvollen Anlass bereitwillig öffneten.
Das bekannte Medium eines Astral-Wesen aus Atlantis torkelte wie ein tibetisches Orakel über die Tanzfläche, während das Astralwesen selbst von Kronleuchter zu Kronleuchter schaukelte, was aber nur die 23 Hellsichtigen unter den Tagungsteilnehmern beobachten konnten.
Als die Sambamusik einsetzte, drehte sich die Herstellerin eines homöopathischen Komplexmittels im Derwisch–Tanz, verwickelte sich dabei jedoch im lila Schleier einer anthroposophischen Therapeutin, der daraufhin abriss und zwei Flügelstummel am Rücken freilegte, die nach Rudolf Steiners Aussage bei jenen sich bilden und zu wachsen vermögen, die, der geistigen Schau sich widmend, den Kontakt zu höheren Welten pflegen.
Mittlerweile dachte ich nicht mehr über eins-zwei-tipp nach und schob meine Mitfahrgelegenheit in wilder Ekstase durch den Raum, während sie intensiv darüber nachdachte, wie sie sich ihren juvenilen Schlägertypen vom Hals schaffen konnte. Wieder zuckte meine rechte Hand und schwang nach außen. Diesmal erwischte es einen Zahnarzt am Hinterkopf, der auf Grund massiver, konditionell bedingter Atemnot mit offenem Mund vor seiner Tanzpartnerin hin und her hoppelte und im Treffmoment sein Gebiss ausspie, das ihm ein Kollege angefertigt hatte, der bei den Laborkosten sparen musste, weil die Anschaffung eines neuen Golfschlägersatzes unglücklicherweise mit den Forderungen des Finanzamtes kollidierte, worauf er seine Zahntechniker anwies, noch schneller und mit einem gewissen Fertigungsspielraum zu arbeiten. „Wieder so eine unappetitliche Zahnarztgeschichte, die mir kein Mensch glaubt“, dachte ich, „warum muss das immer mir passieren?“
Die Zähne hatten sich im großmaschigen Spitzenbesatz über dem wogenden Busen seiner rüstigen Tanzpartnerin verbissen, die jedoch noch nichts bemerkt hatte und mit verträumtem Blick zu dem Astralwesen am Kronleuchter starrte, während sie sich zum Rhythmus der Musik bewegte, soweit das ihr Hüftgelenksimplantat zuließ.
Der Zahnarzt versuchte nach seinen Zähnen zu grabschen, erwischte aber ihren Busen, was sie aus ihren Träumen riss. Entsetzt starrte sie in den hohlen Schlund ihres Traumtänzers, der sich bei der ersten Kontaktaufnahme in einer Ü 50-Internetbörse glatt 15 Jahre jünger gemacht hatte. Sie schrie, während er versuchte, seine Zähne aus ihrem Spitzen-Dekolleté zu fieseln und beide verschwanden in der Masse der wogenden Leiber.
Die Kommilitonin, mittlerweile jeglicher Illusionen beraubt, fummelte aus dem Geheimfach ihres Kleides ein Fläschchen Nux Vomica, um sich in der nächsten Drehung einige Globuli rein zu schütten. Während ich zur „Dancing Queen“ epileptisch zuckte und wild um mich schlug, schnappte sie sich eine Flasche Rotwein vom nächsten Tisch und begann, sich fürchterlich zu besaufen.
Das war nicht das Ende von Allem, aber der Auftakt vom Ende. Es ist jedoch nicht meine Art, einen renommierten Mediziner-Kongress durch kompromittierende Details zu belasten. Deshalb möchte ich meinen Bericht abschließen. Es war ein sehr informativer Tag. Die Vorträge waren ausgezeichnet und auch für mich als Laien verständlich. Die gemeinsame transpersonale Erfahrung vieler Menschen mit gereiftem Bewusstsein wirkt nachhaltig in mir, wobei ich meine erhöhten Leberwerte, durch die Einnahme von Froxium versöhnlich stimmen werde. Was die transpersonale Erfahrung mit dem Golfsport zu tun hat, werden Sie, verehrte LeserInnen sofort verstehen, wenn Sie „Golf Gaga – Der Fluch der weißen Kugel“ lesen, meine Recherchen über den aktuellen Stand golfpsychiatrischer Suchtforschung in Deutschland.
Ich wünsche eine erkenntnisreiche Woche
Eugen Pletsch